Beim Karneval der Kulturen zeigte Berlin am Pfingstsonntag 2016 den Schatz der Vielfalt dieser Stadt. Die bunte Parade von 73 Formationen mit mehr als 5 000 AkteurInnen zog vor rund 650.000 Zuschauern vom Hermannplatz in Berlin-Neukölln bis zur Yorckstraße in Berlin-Kreuzberg. Der BIRLIKTE-Themenwagen mit der Freiheitsstatue im Rollstuhl hatte die Nummer 25. "BIRLIKTE – gemeinsam Träume leben!" war das Motto der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL), die mit dem türkisch-deutschen Verein InterAktiv den Themenwagen gestalteten.
Jugendliche und Erwachsene aus verschiedenen Herkunftskulturen und mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen setzten mit ihrer Darbietung die Themen "Traumberuf – Vielfalt – Freisein" um. BIRLIKTE – das türkische Wort für "gemeinsam" sollte dies deutlich machen. Die Kinder und Jugendlichen trugen T-Shirts von ihrem Traumberuf und gaben am Medienstandort Südstern eine Präsentation, bei der sie zum Schluß einhundert bunte Luftballons aufstiegen ließen.
In der gut besuchten Berliner Botschaft der Republik Türkei fand am 29. April 2016 die Auftaktveranstaltung für das Projekt "BIRLIKTE - Gemeinsam für Inklusion in der Arbeitswelt" statt. Rund einhundert UnternehmerInnen und Interessierte waren der Einladung in die barrierefreien Räumlichkeiten gefolgt. In ihrer Begrüßung betonte Gamze Karslıoğlu, Gattin des Botschafters der Republik Türkei und Schirmherrin der Auftaktveranstaltung, dass sie dieses Projekt als eine Art "Rückgabe" der lange Zeit missachteten Ansprüche an ihre Berechtigten ansehe und zitierte den Nobelpreisträger Albert Einstein mit den Worten "Es ist leichter, einen Atomkern zu spalten als ein Vorurteil."
Dass Vorurteile die Inklusion von Menschen mit Behinderung und Migrationsgeschichte in der Arbeitswelt erschweren, konnten auch Andreas Germershausen, Landesintegrationsbeauftragter und Dr. Jürgen Schneider, Landesbehindertenbeauftragter in ihren Grußworten bestätigen. Beide arbeiten vorbildlich zusammen an der Schnittstelle der oft getrennten Bereiche und freuten sich über das Zustandekommen dieses, von der Aktion Mensch finanzierten Projektes.
Welche Erfahrungen ArbeitgeberInnen mit der Beschäftigung behinderter Menschen gemacht haben, berichteten anschließend Aynur Boldaz, Chefin des Dienstleistungsunternehmens FOREVER CLEAN und Yilmaz Erçelik, Inhaber des Cityhostels Berlin. Unter dem Motto "Erfolgreich anders" beschäftigt Boldaz fast 400 Mitarbeitende in Deutschland und der Türkei. In ihren Betrieben in Deutschland beträgt die Schwerbehindertenquote fast 40 Prozent - kein Wunder, dass sie im Jahr 2014 den Inklusionspreis des Unternehmerforums erhalten hat. Erçelik bietet in seinem Hostel insgesamt 435 Betten an und beschäftigt behinderte Mitarbeiter als Hausmeister und in der Rezeption, noch nicht aber im Reinigungsbereich. Nach einem fachlichen Meinungsaustausch mit Aynur Boldaz meinte er aber, dass dies bald anders werde.
Dr. Sigrid Arnade, Projektleiterin von BIRLIKTE, stellte in ihrem Vortrag anschließend Wissenswertes zur Beschäftigung behinderter Menschen dar. Ganz konkret ging sie auch auf die Vielfalt der staatlichen Fördermöglichkeiten ein: Probebeschäftigung, Eingliederungszuschüsse, Arbeitsassistenz, dauerhafte Lohnzuschüsse und Arbeitsplatzausstattungen seien hier denkbar.
Die abschließende Podiumsdiskussion, bei der Arbeitgeber mit Arbeitsvermittlern sprachen, brachte dann erste konkrete Ergebnisse. Auf Arbeitgeberseite diskutierten Dogan Azman, Vorstandsmitglied und Pressesprecher der TDU, der Türkisch-Deutschen Unternehmervereinigung Berlin-Brandenburg; Dilhan Görgün, Unternehmer und Mitglied bei MÜSIAD Berlin, dem Verein unabhängiger Industrieller und Unternehmer migrantischer Herkunft. Mit seiner Firma DG Consulting ist er auch Projektpartner bei BIRLIKTE. Auf der anderen Seite waren vertreten Nelli Stanko vom Integrationsamt Berlin, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere zuständig für den Berliner Integrationspreis und für alle Fragen rund um das Sozialgesetzbuch IX und die UN-Behindertenrechtskonvention und auch zuständig für internationale Kontakte sowie Helmut Beerbohm, vom Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg und Teamleiter Reha-SB. Kurzfristig absagen wegen eines anderen aktuellen Termins mussten eine Vertreterin der Berliner Handwerkskammer, die auch gerne mit diskutiert hätte sowie Frank Ike vom Integrationsfachdienst Berlin-Südwest. Azman bezog sich auf die existierenden Vorurteile, die zu Beginn der Veranstaltung angesprochen wurden und betonte, dass behinderte Menschen zuverlässige Mitarbeiter seien. Für die TDU versprach er, gemeinsam mit dem Projekt Schulungen für die rund 300 Mitgliedsfirmen anzubieten, während Stanko und Beerbohm zusagten, auch direkt zu den Unternehmensvereinigungen zu kommen und dort Vorträge anzubieten. Görgün strich ferner den ökonomischen Vorteil von gemischten Belegschaften heraus, die sich nicht nur hinsichtlich des Merkmals Behinderung unterscheiden, sondern der Vielfalt der BewerberInnen auf dem Arbeitsmarkt Rechnung tragen.
(von links nach rechts): Dogan Azman, Helmut Beerbohm, H.- Günter Heiden (Moderation), Nelli Stanko, Dilhan Görgün)
Projektpartnerin Sevgi Bozdağ von InterAktiv e.V. fasste in ihrem Schlusswort der Veranstaltung die drei Signale zusammen, die von diesem Auftaktabend ausgegangen waren: Erstens: Individuelle, passgenaue Unterstützungsansätze sind gefragt und nicht Barmherzigkeit und Gnade. Zweitens: Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und somit am Arbeitsleben ist ein Rechtsanspruch aller Menschen, auch für Menschen mit Behinderung. Es ist also ein Menschenrecht! Drittens: Wir brauchen ein Umdenken in der Gesellschaft. In Bezug auf Beschäftigung brauchen wir Unternehmerinnen und Unternehmer, die soziale Verantwortung übernehmen.